Krisenmonitoring in Social Media nach LASSWELL


Die Themen- und Trendbeobachtung fällt in normalen Zeiten unter die Rubrik "Issues Management" und dient als Informations- und Frühwarnsystem. Dabei werden möglichst in allen Abteilungen eines Unternehmens interessante und relevante Themen gesucht, die Anregungen für Innovationen, für die Ausrichtung der Geschäftsstrategie und damit verbunden für die Kommunikation bieten (vgl. Röttger und Preusse 2008, Eisenegger 2005). Gleichzeitig fungiert das Issues Management als Frühwarnsystem, indem kritische Themen identifiziert werden können. Für die Krisenprävention sind potenzielle Krisenfälle zu identifizieren, damit Handlungsabläufe simuliert werden können. Diese Simulationen geben Anregungen für die Ausrichtung des Monitorings, das in normalen Zeiten installiert werden sollte (vgl. Schwarz 2010, 242).
Die Vorgehensweise eines systematischen Issues Managements wird an dieser Stelle nicht detailliert beschrieben, da es vom der speziellen Situation der Krise ablenken würde. Die Reputation wird jedoch als Hauptziel der Organisationskommunikation unterstellt. Das Issues Management sollte demnach wesentlich auf den Erhalt und Ausbau reputationsbildender Inhalte ausgerichtet sein.

Kriterien des allgemeinen Monitorings sind:

  •       Personen und Organisationen, die einen kritischen Bezug zum Unternehmen und seinen Themen haben (z. B. betroffene Kunden, ehemalige Angestellte, Anwohner, Wettbewerber, NGOs und Aktivisten, Medien bzw. bestimmte Sendungen);
  •        Reputationsschädigende, kritische Themen, mit denen das Unternehmen in Verbindung gebracht wird oder werden könnte;
  •         Medien und Kanäle, die von den Personen und Organisationen genutzt werden (z. B. soziale Netzwerke, Email, Offline: klassische Medien, Protestaktionen).
Diese Faktoren werden von dem Geschäftsfeld, der Branche, der Größe und dem Sitz des Unternehmens oder der Organisation beeinflusst.Die Gesamtzahl der Resonanz ist die erste, wichtigste Maßzahl für die Krisenbeobachtung. Nur öffentliche Krisen sind gefährliche Krisen für Unternehmen (Thiessen 2011: 99). Es ist daher zunächst zu überlegen, ob die öffentliche Resonanz ein Handeln des Unternehmens notwendig macht oder nicht.

Inhaltlich stellt das Krisenmonitoring eine fokussierte Variante des Issues Management dar. In der Krise ist es notwendig, die Kommunikation in ihre „Einzelteile“ zu zerlegen, um sie standardisiert bewerten zu können. Relevante Faktoren können mit Hilfe der traditionellen Lasswell-Formel unterteilt werden (vgl. Lasswell 1948): „Wer sagt was in welchem Kanal zu wem mit welchem Effekt?“. Erweitert durch eine Detaillierung im Bereich WAS bildet sich die Frage:

„Welcher SENDER verbreitet in welcher QUALITÄT zu welchem ZEITPUNKT
über welches MEDIUM welchen INHALT.“


In diesem Zusammenhang wird der Effekt noch nicht erfasst und bewertet – dies ist Bestandteil der abschließenden Krisenevaluation. Zum Zeitpunkt des Publizierens kann meist noch keine Reaktion oder Auswirkung festgestellt werden, bzw. es ist Aufgabe der Krisenkommunikation, potenzielle Auswirkungen möglichst vor dem Geschehen abzuschätzen und Maßnahmen einzuleiten, um diese abzumildern oder zu verhindern. Der Bereich „zu wem“ ist als Verbreitungsgrad in das MEDIUM integriert.
Die einzelnen Faktoren werden in einem semantischen Profil in Gegensätze zerlegt (nach Diekmann 1998, 235). Den drei möglichen Ausprägungen ist jeweils ein Punktwert zugewiesen. Es können zwei Einflussgrößen gebildet werden: der „TRANSPONDER“, unter dem das gesamte WER, WIE, WANN und über welchen KANAL mit welcher VERBREITUNG aufzusummieren ist, und der „INHALT“, der sowohl Ausdrucksform als auch Faktenlage erfasst. Es entsteht eine Punktwertsumme für den „TRANSPONDER“ und eine Summe für den „INHALT“. Die Ausrichtung der Punkteskala ist an der Verstärkungskraft des Items orientiert: Der einflussreichste Transponder und der schädlichste Inhalt erhalten die Maximalpunktzahl.

Abbildung 5: Krisenmonitoring Profil
TRANSPONDER
Punkte


Geringer Einfluss
0
1
2
Hoher Einfluss
Sender
Kaum vernetzt



Stark vernetzt

Anonym



Namentlich

Fremd



In Beziehung zum Unternehmen/ zur Branche
Medium
Wenig sozial (Eher einseitige Kommunikation)



Sehr sozial (Beidseitige Kommunikation)

Geringe Verbreitung



Hohe Verbreitung
Zeitpunkt
Spät (Abflauende Themenkarriere, Nachläufer)



Früh (Vorreiter, neuer Impuls, Aufkommende Themenkarriere)
Qualität
Signal



Eigener Inhalt

Text



Bild
Summe TRANSPONDER



max. 16 Punkte

INHALT
Punkte


Ungefährlicher Inhalt
0
1
2
Gefährlicher Inhalt

Sachlich, fair, gerecht



Unsachlich, unfair

Positiv für Unternehmen



Negativ für Unternehmen

Nicht Reputationsrelevant



Reputationsrelevant (Dimensionen: Produkte, Management, Arbeitgeber, Innovation, Sympathie)

Korrekt, richtige Darstellung



Falsche Behauptungen

Akzeptanz von Unternehmenssituation in Krise



Zweifel an Unternehmenssituation in Krise (Schuldfrage)
Summe INHALT



max. 10 Punkte

Die Punktwerte INHALT und TRANSPONDER können anschließend multipliziert werden. Dies entspricht z. B. den folgenden Bewertungen (Lange 2012):
  •           „Ein Artikel mit 100 Kommentaren von Influencern ist mehr als ein Artikel mit 100 Kommentaren von Nobodys“
  •           Ein Artikel mit 100 Likes ist deutlich mehr als ein Artikel ohne Reaktion.“

Durch die Zuweisung von Punktwerten kann eine Maßzahl für die Gefahr, die von einer Meldung ausgeht, bestimmt werden. Der entstehende Punktwert (das Produkt aus „Transponder“ und „Inhalt“) liegt zwischen dem Minimum Null und dem Maximum der multiplizierten, beobachteten Faktoren (die jeweils individuell zusammenzustellen sind). Die hier vorgestellten Kriterien stellen einen ersten Entwurf dar, der in der Praxis bzw. empirisch zu überprüfen wäre. Die Bedeutung der Maximalpunktwerte würde folgende Sachverhalte beschreiben:
  1.         Der maximale Transponder-Punktwert würde entstehen, wenn ein sehr gut vernetzter Blogger (namentlich bekannt), der über hohes Fachwissen zur Branche oder dem Unternehmen verfügt, in seinem Blog,  dem eine hohe Zahl von Lesern folgt, einen Missstände aufdeckenden Bericht (als Erster) mit verdeutlichendem Foto veröffentlicht.
  2.          Die Inhaltsebene erreicht den maximalen Punktwert, wenn es sich um eine rein sachliche Darstellung handeln, in der der Blogger den Krisenauslöser als Unfall darstellt, für den das Unternehmen nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.

Dieser Bericht hätte ein Krisenmonitoring-Profilwert von Null, da der Inhalt die Gefahr relativiert und der hohe Wert des Transponders diese Wirkung verstärkt. Je nachdem, wie die Krisenkommunikation strategisch angelegt ist, kann es nützlich sein, diese Kommentarrichtung weiter zu bestärken.

Eine solches Profil, das individuell für ein Unternehmen angepasst werden kann – je nachdem aus welcher Richtung die größte Krisengefahr droht – ermöglicht eine schnelle, systematische Bewertung von kritischer Resonanz. Es gibt zahlreiche weitere mögliche Einzelfaktoren, die erfasst werden könnten, wie z. B. den Grad der Polemik. Der Zeitfaktor spielt jedoch in der Krise einen entscheidenden Faktor bei der Auswahl der zu bewertenden Kriterien. Das Krisenmonitoring darf nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen als das Krisenmanagement selbst. Trotzdem weist der Krisenexperte Mirko Lange darauf hin: „Man muss (!!!) sich Zeit nehmen! Ansonsten verfällt man leicht in blinden Aktionismus. … Frei nach dem Motto: Es gibt keine größere Verschwendung, als das Falsche richtig gut zu machen!“ Es bliebe die Aufgabe, eine gute Krisenprävention durchzuführen, um „gut vorbereitet zu sein und quasi schon vorzukochen“ (Lange 2012). 

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